You make my world a little less FINSTA
Die nächste Junge Akteur:innen-Premiere spielt mit der Frage nach Authentizität und Fake bei Instagram, Facebook und co. Hier ein wahrhaftiger Text von Mit-Autorin Nora Strömer.
Hallo. Schön, dass ihr alle da (also *hier*, „im Internet“) seid. Ich möchte euch heute eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte aus meinem Leben, eine *wahre* Geschichte. Ich bin Nora und ich habe einen Teil des Textes für die Produktion Finsta der Jungen Akteur:innen geschrieben. Bevor Christiane Renziehausen, die Regisseurin des Stücks, mich gefragt hat, ob ich den Text schreiben möchte, habe ich als Regieassistentin hier am Theater Bremen gearbeitet. Davor habe ich studiert, aber DAVOR war ich viele viele Jahre selbst bei den Jungen Akteur:innen. Eigentlich meine ganze frühe und spätere Jugend lang.
Ich würde sagen (ohne jetzt allzu sentimental werden zu wollen), dass meine Erfahrungen bei den Jungen Akteur:innen zu den wichtigsten meines Aufwachsens gehört haben.
Ich bin mit dem Schreiben des Textes für Finsta also in einer neuen Position zu den Jungen Akteur:innen zurückgekehrt: Nicht mehr als Darstellerin auf der Bühne, sondern als Person hinter der Bühne. Und nicht mehr als „Jugendliche“, sondern als „Erwachsene“. Das war irgendwie seltsam, weil ich auf der einen Seite viele Orte, Strukturen und Abläufe wiedererkannt habe (Probebühne, Auswahlworkshop, Aufwärmspiel), mich aber in diesen vermeintlich vertrauten Umgebungen ganz anders gefühlt habe als früher.
Ich war ein sehr schüchternes Kind (wird mir immer erzählt).
Ich glaube, dass die Theaterarbeit bei und mit den Jungen Akteur:innen mir dabei geholfen hat, einen Umgang mit meiner Schüchternheit, bzw. Unsicherheit zu finden. Auf den wöchentlichen Proben, damals noch im Theaterkontor in der Schildstraße, habe ich gelernt, dass ich mein Auftreten vor anderen gestalten und durch diese Gestaltung einen bestimmten Effekt bei meinem Gegenüber produzieren kann (z.B. Lachen). Das war für mich in gewisser Weise befreiend. Ich konnte mir Tools aneignen, um das, was ich vor anderen schützen wollte, zu schützen und stattdessen etwas anderes preiszugeben:
Ein Bild von mir, das ich für mein Gegenüber und für die jeweilige Situation, in der ich mich befinde, produziert habe.
Wenn ich jetzt auf den Proben von Finsta sitze, beobachte ich die die fünf Darsteller:innen und fühle mich daran erinnert, wie ich mich früher selbst bei den Jungen Akteur:innen bewegt habe. Ich meine zu sehen, dass es den Darsteller:innen Spaß macht, auf der Bühne zu stehen, dass sie einander unterstützen, dass sie sich miteinander anfreunden. Wenn sie mit dem Rad nach Hause fahren, frage ich mich, ob sie jetzt wohl noch ein Bier an der Weser trinken, wenn sie an einem Samstag müde wirken, frage ich mich, ob sie am Abend davor wohl auf einer „Party“ waren. Ich projiziere das Bild, das ich von meiner eigenen Jugend zu erinnern meine (das gleichzeitig, glaube ich, schon damals ein Bild von „Jugendlich-Sein“ war), auf diese *neuen Jugendlichen*.
Gleichzeitig (und das hat mich etwas überrascht, als ich es gemerkt habe) hoffe ich, für die Darsteller:innen wiederum ein Bild von Erwachsen-Sein zu repräsentieren, mit dem sie sich identifizieren können.
Ich merke, wie ich mir überlege, was ich vor der Probe anziehe („was fänden DIE wohl cool?“), dass ich hoffe, dass sie über meine Witze lachen und dass ich anfange, mich zu verhaspeln, wenn ich spreche. In dem Blick der Darsteller:innen, in dem ich mich imaginiere, bricht sich, glaube ich, auch ein konstruierter Blick meines früheren Ichs Bahn, dem ich hoffe, gerecht werden zu können. Im Moment der Probe kehrt sich (für mich) so das Verhältnis derer, die für andere etwas performen und derer, die diese Performance bewerten, um. Ich stelle mir eine parallele Realität vor, in der meine zwei Junge-Akteur:innen-Ichs – mein Text-Schreiben-Ich (27 Jahre alt) und mein Auf-der-Bühne-Stehen-Ich (zwischen 12 und 19 Jahre alt) – sich durch irgendeine Form von Glitch unverhoffter Weise im selben Raum wiederfinden. Mein früheres Ich und mein aktuelles Ich schauen einander an und können sich gleichermaßen in der Fiktion anerkennen, die sie jeweils sind.
Veröffentlichung: 08.09.21