Zu Silvester nur die Delikatessen, bitte
Kapellmeister William Kelley hat die Musikalische Leitung für unsere Silvestergala „Maybe this time“, Caroline Scheidegger, die den Abend als Dramaturgin begleitet, hat mit ihm über die Musikauswahl gesprochen.
Caroline Scheidegger: William, du stammst aus den USA, aus North Carolina. Was macht für dich Silvester aus?
William Kelley: Eine gute Feier, Champagner, wir feiern eigentlich wie hier. Das Besondere in den USA ist vielleicht, dass sich zu Silvester alle Blicke nach New York richten, wo die großen Silvesterfeiern stattfinden und man sich zum Beispiel die Übertragung des Ball drop am Times Square anschaut, bei dem während des Countdowns zum neuen Jahr traditionell eine riesige Zeitkugel herabgelassen wird.
Gemeinsam mit Josef Zschornack, der die szenische Einrichtung übernimmt, habt ihr für die diesjährige Silvestergala am Theater Bremen viel über Diven nachgedacht: Diven der Oper, des Musicals, des Showbiz?. Wie zeigt sich das im Programm?
William Kelley: Ich habe mich dabei tatsächlich weniger von dem Gedanken leiten lassen, Nummern auszusuchen, die repräsentativ sind für die großen Diven wie beispielsweise Maria Callas, sondern wollte „unsere Diven“, unsere Sänger:innen in den Vordergrund rücken. Und so habe ich gemeinsam mit dem Ensemble nach Arien und Songs gesucht, die die Stärken jeder und jedes einzelnen herauskitzeln, sie ins rechte Licht rücken und sie in ganz verschiedenen Facetten strahlen lassen.
Was ist dabei herausgekommen?
William Kelley: Eine, wie ich finde, wirklich wunderbare Mischung aus ganz unterschiedlichen Musikstilen, ein Programm mit vielen kleinen, ganz einzigartigen Perlen, gerade auch für das Orchester, das während des Abends in ganz unterschiedlichen Besetzungen zu hören sein wird. Natürlich spielen wir einige bekannte Nummern wie Sempre libera aus Verdis La traviata, aber eben auch viele Stücke, die die meisten wahrscheinlich noch nie gehört haben. Ich finde es schade, immer wieder nur die gleichen 25 Titel zu recyceln, die jede:r kennt, denn es gibt so viel anderes Repertoire, das sich perfekt für eine solche Gala eignet und einfach nur ein bisschen abseits der ausgetretenen Pfade zu finden ist. Gerade bekannte Komponisten haben viele solcher Juwelen geschrieben, die, denke ich, zu Unrecht im Schatten der großen Hits stehen. Zum Beispiel It’s a new world von Harold Arlen und Ira Gershwin, einem Song, dem ich auch erst vor einem Jahr begegnet bin und der ein fantastisches Stück Musik ist.
Dein persönlicher Favorit?
William Kelley: Schwer zu sagen. Ain’t it a pretty night aus Carlisle Floyds Oper Susannah ist sicherlich eine meiner Lieblingsarien, aber eigentlich kann und will ich mich da gar nicht festlegen. Was mir im Moment gerade am meisten Spaß macht, ist es, den Sängerinnen und Sängern zuzuhören, wie sie sich die Arien und Songs, die ich schon so lange kenne und liebe, nehmen und zu ihren eigenen machen.
Du bist ja seit 2020 Kapellmeister in Bremen. Hat dein Blick auf die Stadt auch einen Einfluss auf das Gala-Programm?
William Kelley: Tatsächlich habe ich viele verschiedene Leute nach dem spezifisch norddeutschen Verhältnis zur Wiener Musiktradition befragt, zur Wiener Operette, zum Wiener Walzer, der ja im ganzen deutschsprachigen Raum traditionell zu Silvester und zum neuen Jahr gespielt wird. Dadurch und auch durch meine Erfahrung mit dem John Lennon-Abend Imagine bin ich zum Schluss gekommen, dass wir mit Maybe this time nicht unbedingt beim Wiener Stil bleiben müssen, denn es gibt in Bremen offensichtlich ein großes Interesse an britischer und amerikanischer Musik. Und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich diesem Wunsch nicht gerne nachkomme: Ich freue mich natürlich sehr, wenn ich die Musik, mit der ich aufgewachsen bin, mit dem Publikum teilen kann. Ich jedenfalls freue mich sehr auf den Abend. Ich bin kein Spezialist für einen bestimmten Stil, meine Spezialität ist eher, dass ich gerne alles mache. Eine Silvestergala zu dirigieren, fühlt sich für mich deshalb ein bisschen so an, als würde ich in einem Delikatessenladen einkaufen.
Veröffentlichung: 20.12.21