Zwischen Transformation und Irritation
Die Ungarin Csenge Vass ist die Kostümbildnerin für Momentum Zero und hat zum ersten Mal mit dem Ensemble Of Curious Nature und Helge Letonja gearbeitet. Sie versteht sich als konzeptuelle Designerin und arbeitet mit ungewöhnlichen Materialien, zum Beispiel formbaren Kunststoffen wie PVC-Folie oder Netzstoff aus synthetischem Material. Csenge Vass im Gespräch mit Dramaturgin Anke Euler.
Anke Euler: Was waren deine ersten Ideen verbunden mit dem Titel Momentum Zero?
Csenge Vass: Für mich hat das zuerst eine positive Bedeutung, ein Neubeginn, und aus dem Nichts Neues erwachsen lassen. Veränderung, Transformation, die eigene Umgebung und Umwelt verstehen und sie in etwas verwandeln, was vorher nicht existiert hat. Es war interessant, mit dieser Produktion ein Universum zu kreieren, das irgendwie vertraut erscheint und doch verändert ist. Momentum Zero ist auch ein Innehalten um sich mit der Situation auseinanderzusetzen, so wie es auch gerade gesellschaftlich wichtig wäre. Es hat daher auch eine traumatische Komponente oder enthält eine Traurigkeit über etwas, das man gehen lässt. Der Moment liegt in der Mitte zwischen der Erinnerung an die Vergangenheit und der Freude auf die Zukunft, es beschreibt damit auch einen zentralen Punkt der Existenz.
Wie entstanden davon ausgehend deine Kreationen?
Csenge Vass: In dieser Produktion war das tolle, dass ich viel Freiheit für meine Visionen hatte und wir in einen kreativen Dialog zwischen Kostüm, Körper, Bühne und Raum getreten sind. Die Choreografie und das klare Setting von Helge Letonja und die Impulse der Tänzer*innen haben meine Kreativität sehr inspiriert und meine Kreationen haben wiederum bei ihnen Prozesse ausgelöst. Mir ist besonders wichtig, dass meine Visionen auch mit dem Input des Ensembles verändert werden, dass ich mich auf ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten und Körper einlasse und man gemeinsam an der Geschichte baut.
Rena Donsbach hat ausgehend von der Idee Helge Letonjas einen besonderen Bühnenraum entworfen. Sie bringt hier geradlinige Objekte und Strukturen ins Spannungsfeld mit organischen und assoziativen Formen. Durch den klaren Entwurf wusste ich sehr schnell, was ich in dieses Universum setzen wollte. Ich habe nach Materialien gesucht, die neuartig sind, die ich aber so bearbeite, dass z.B. die Textur wie etwas sehr Bekanntes aussieht. Ich habe schon immer gern ungewöhnliche Materialien benutzt, gleichzeitig wollte ich Oberflächen kreieren, die an etwas erinnern und die einen faszinieren, als ob man in der Tiefsee taucht und diese wundervollen, vielfältigen Kreaturen beobachtet.
Eine Grundidee war die kognitive Dissonanz: Etwas sieht anders aus, als es sich anfühlt, bzw. etwas fühlt sich anders an, als wir gewohnt sind. Etwas sieht organisch aus, ist aber synthetisch. Als ob man ein Stück weit die Natur neu denkt bzw. umkodiert. Diese Momente der Irritation sind mir sehr wichtig. Wir müssen uns auf unsere Erfahrung aus unserer Umgebung verlassen, aber hier stoßen wir auf etwas, das nicht ganz zusammenpasst. Ich muss die Materialien dafür selber erforschen: Wie reagieren sie, was kann man mit ihnen alles machen, wie ist ihr Charakter, was ergibt sich, wenn man ihre Eigenschaften beobachtet. Dann kann etwas Unverhofftes, Magisches passieren, wenn zweidimensionale PVC-Folie plötzlich dreidimensional wird. Ich liebe starke Farben, nicht nur weil sie schön sind, sondern, weil jede Farbe in Kombination mit der Umgebung etwas erzählen oder auslösen kann.
Das Thema Transformation steckt also schon in der Verarbeitung des Materials und der Irritation der Wahrnehmung. Helge Letonja und Rena Donsbach sind Transformationen innerhalb des Stückes und auf der Bühne wichtig. Wie findet sich dies in der Zusammenarbeit wieder?
Csenge Vass: Am Anfang hatten wir viele verrückte Ideen und Kostüme, die den Körper verändert erscheinen lassen. Dann haben wir reduziert und die künstlerischen Ansätze in Einklang gebracht mit der Choreografie und dem Bühnenbild. Mit dem Faktor Zeit und im Zusammenspiel aller Elemente entstehen nun die Transformationen. Der Raum spielt hier eine große Rolle. Die Protagonisten betreten einen Raum von dem wir nicht wissen, ob er kontaminiert ist oder nährend, ob er aus einer elementaren Substanz ist oder aus etwas ganz Neuartigem. Das Kostüm suggeriert, dass die Menschen sich vor etwas schützen. Sie tragen auch spezielle, hohe Schuhe. Diese fordern die Tänzer*innen sehr heraus. Sich darin zu bewegen, ist anstrengend und ungewohnt und unnatürlich. Das unterstützt die Handlung, die sich nach außen kommuniziert. Die Tänzer*innen müssen sich stark auf ihre Sinne konzentrieren, auf jedes Detail – wie gehe ich, wie setze ich einen Fuß vor den anderen, alles braucht Aufmerksamkeit. Sie müssen diese Situation aushalten und es vielleicht als ihre neue Natur akzeptieren.
Mit welchen Materialien und Techniken hast du gearbeitet?
Csenge Vass: Ich habe mit Neopren gearbeitet und einer speziellen Schnitttechnik, so dass es bei der Bewegung die Form verändert. Mir ist wichtig, dass das Kostüm auf die Bewegung reagiert. Auch durch das Schwitzen verändert sich etwas – unter dem Kostüm wird eine Körperfarbe benutzt, die dann verläuft. Ein bestimmtes Kostüm besteht aus einem gefärbten Netz aus Kunststoff, das mit einer Heißpistole bearbeitet wurde, so dass es Blasen schlägt – wiederum eine Referenz an den Vorgang der Transformation und Mutation. Das Kostüm für die „Kreatur“ ist das aufwendigste. Ich verwende PVC-Folie, farbig mit Lasertechnik bedruckt. Sie wird in einem Farbverlauf graduell bedruckt, das hat den Effekt, dass es dreidimensional wirkt. Ich liebe dieses Material, es ist transparent und kann jede Form, die man sich vorstellt, annehmen. Es wird in einem aufwendigen Verfahren geschnitten. Ich habe damit viele Tage experimentiert. Es sollte organisch aussehen, wie etwas aus dem Körper, oder etwas, aus dem wir entstanden sind.