Systemkritik im Lieblingstheater

Klaus Schumacher kommt nicht nur heim, sondern auch zu neuen Erkenntnissen, wenn er Die Dreigroschenoper in seinem Heimathaus inszeniert. Ein Porträt von Simone Sterr.

Auf die Frage, wann er zum ersten Mal am Theater Bremen inszeniert hat, muss er erstmal richtig lange rechnen. Dann aber spuckt er auch gleich Titel und Autor aus: Bilsenkraut von Günter Jankowiak. Vor 24 Jahren! Klaus Schumacher – und jetzt dürfen Sie die Rechenschieber zücken – war damals 28 Jahre alt, Schauspieler und Regisseur am Moks. „Ein toller Vertrag“, schwärmt er, „ich durfte spielen und inszenieren immer im Wechsel“. Später durfte er das Moks dann leiten, wurde mehrfach zum Theatertreffen der Kinder-und Jugendtheater nach Berlin eingeladen, erhielt mit seiner Sparte den Kurt-Hübner-Preis und wurde mit dem Theaterpreis DER FAUST als bester Regisseur im Kinder-und Jugendtheater ausgezeichnet. Seit 2005 ist Klaus Schumacher Intendant des Jungen Schauspielhauses Hamburg. Zeitweise im Nebenberuf, denn auch als Gastregisseur für Erwachsene ist Klaus Schumacher gefragt, inszeniert in Düsseldorf, Mainz, Oldenburg, Stuttgart, Hannover … Durfte das eine tun und musste das andere nie lassen. Auch im riesigen Saal des Schauspielhauses Hamburg hat er oft inszeniert. „Da lernt man in Bildern zu arbeiten“.

Bedingt sich das Arbeiten für junge Menschen und das „für die gleichen Menschen nur in älter“ gegenseitig? Da schwärmt er schon wieder: „Das Spektrum, was sich dadurch ergibt, ist einfach traumhaft. Ich genieße diesen Wechsel total. Und wenn eine Geschichte mein Interesse weckt, ist es letzten Endes auch egal für welches Alter sie geschrieben ist. In beiden Bereichen möchte ich sehr ernsthaft und genau arbeiten.“

Gemütlich wird es aber nie.

Bremen ist Klaus Schumacher immer treu geblieben und das Theater ihm. Ist das überhaupt noch Arbeit hier oder einfach nur nach Hause kommen? „Das reinste Vergnügen“, sagt Klaus Schumacher, lacht und kommt aus dem Schwärmen überhaupt nicht mehr heraus. „Es ist wirklich mein Lieblingstheater. Ich habe Kinder gekriegt in der Stadt, hab sie hier großgezogen, ich fühle mich hier sehr beheimatet, was in Bremen ja nicht schwer ist. Ich habe einen langen Berufsweg hier gehabt, 16 Jahre war ich hier, bevor ich nach Hamburg gewechselt bin, bei Klaus Pierwoß durfte ich meine ersten Inszenierungen im Schauspiel machen, seit der Intendanz von Michael Börgerding arbeite ich regelmäßig hier, das ist schon sehr vertraut alles.“ Gemütlich wird es aber nie. Jedes Stück begreift Klaus Schumacher als neue Herausforderung, als Anstrengung, sich einen Stoff zu erobern. Wie gerade jetzt bei Die Dreigroschenoper, wo ihm „das Arbeiten innerhalb eines musikalischen Werkes, das von vornherein schon mal einen Rhythmus gründet, wie Leitplanken, die dich führen“ als Aufgabe begegnet. Das hat er bei Woyzeck von Tom Waits schon einmal ansatzweise erlebt, das Konstrukt von Brecht/Weill ist aber schon noch einmal strenger, strukturierender. Oper eben. Eine solche hat Klaus Schumacher noch nie inszeniert, auch wenn es die Gelegenheiten gab. Und so muss er sich jetzt einen Reim darauf machen, wieso Figuren vom Dialog in Gesang wechseln. Einfach so. „Es gibt keinen Grund dafür.  Außer, dass sie’s tun. Am besten man denkt nicht zu lange drüber nach.“

So möchte man doch in den Schlaf gesungen werden.

Der Bekanntheitsgrad der Songs ist zudem eine Herausforderung. Die meisten Zuschauer*innen haben sie irgendwo gespeichert, ein paar davon sind beinahe zu einer Art Volkslied geworden und jetzt muss man sie mit einer Theaterhandlung verbinden. „Ich gucke mit meinen Kindern in ein Kinderliederbuch und finde die Moritat von Mackie Messer. Irre.“ Klaus Schumacher intoniert – sehr schön – „ja der Haifisch, der hat Zähne“. So möchte man doch in den Schlaf gesungen werden. Jetzt gerät der Regisseur erneut ins Schwärmen: von Brecht, der es schafft, in einem unterhaltsamen Kassenschlager die ganz großen Systemfragen zu stellen vom Fressen und von der Moral, von der Gründung einer Bank und dem Einbruch in eine Bank. Von den Merksätzen also, die man zum Grundthema des Abends machen muss. Es fasziniert ihn, wie Brecht drei kapitalistisch funktionierende Gewerbe, das der Huren, das der Bettler, das der Gauner beleuchtet und an ihnen die Frage danach, was faul ist im System stellt. Dabei lässt er sie alle um einen Mittelpunkt kreisen: die korrumpierbare Staatsmacht. Wie das alles am kleinen Beispiel gezeigt, immer größer und universeller wird, um letzten Endes von Macht, Geld und vom Verhältnis zwischen Liebe und Kapital zu erzählen, begeistert ihn spürbar.

Die Frage der Parallelität der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts zum Heute

Klaus Schumacher ist durch und durch Theatermann und von seinem Gegenstand hingerissen. Er ist beseelt vom Glauben an die Kraft des Spiels, durchdrungen vom Vertrauen in Spielerpersönlichkeiten, in die Bühne als Modell von Welt, in dem Alles möglich ist.

Die Dreigroschenoper hat er in ein ewiges Theater platziert, das „nie vergeht, nie stirbt, das immer wieder zum Leben erweckt wird und Größe erreicht“. Bei aller Zeitlosigkeit und Überlebensdauer des Stückes drängt sich dann doch die Frage der Parallelität der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts zum Heute auf. Was denkt Klaus Schumacher über das Revival der „Goldenen Zwanziger“, die wahrscheinlich weniger golden waren als von harten Kontrasten und politischen Extremen geprägt. Auf der einen Seite drängen sich die Verbindungen auch für ihn auf, andererseits „spielt das Globale heute eine viel größere Rolle. Es tut sich für die große Politik und den einzelnen Menschen ein anderer Horizont auf heute. Die Sorge vor extremistischen Positionen, die Instabilität des Systems ist aber durchaus vergleichbar. Auch die Angst, dass es nicht mehr trägt.“ Und natürlich beschäftigen ihn und sein Team die Diskrepanz zwischen arm und reich. Klaus Schumacher ist ein Freund von deutlichen Bildern und verstehbaren Metaphern. So wie die der drei reichsten Männer der Welt, die mehr besitzen als die ärmsten fünfzig Länder der Erde zusammen. Und es gibt kein politisches Regulativ, das sich diesem Umstand entgegenstellt. Da ist Brechts Systemkritik mehr als angebracht und viele Dinge so virulent, wie sie vor 100 Jahren waren.

Brechts Desinteresse am Individuum ist ihm eher fremd

Man könnte meinen, es gibt nichts, woran sich Klaus Schumacher die Zähne ausbeißt, wo es knirscht in der Begegnung mit dem Stoff, dem Autor, wo sich Widerstand regt, wo´s schwierig wird. Gibt es schon. So ganz ohne Figurenpsychologie auskommen zu müssen fordert ihn heraus, Brechts Desinteresse am Individuum ist ihm eher fremd. „Aber es ist doch sehr wertvoll, sich dem eine Zeit lang hinzugeben und sich damit zu beschäftigen, auch wenn ich nicht alles unterschreiben kann“. Und am Machismo von Brecht reibt er sich ab. Da kann selbst Klaus Schumacher, der vor allem Ruhe, Geduld und Einfühlungsvermögen ausstrahlt, grantig werden, wenn er davon spricht, dass die menschliche Spur, die der Autor hinterließ, kaum positiv ist, wenn er vom Schmerz spricht, von der Not, die Brecht bei seinen zahlreichen Frauen hinterlassen hat und von der kreativen Ausbeutung seiner weiblichen Mitarbeiterinnen. „Es würde sich lohnen, darüber ausgiebig etwas zu erzählen“. Recht hat er. In seiner Inszenierung hat er nur die Möglichkeit eine offenere, modernere Sicht auf Geschlechterfragen einfließen zu lassen. Das versucht er, in dem er Männer wie Frauen Männer, Frauen, Ganoven und Huren spielen lässt und damit zweidimensionale Holzschnittfiguren in mehrdeutige Menschenbilder verwischt. Schumacher vertraut dem Theater an sich. Dem Spiel, in dem jede*r, jede Rolle sichtbar annehmen und wieder zurückgeben kann, in dem Klischees nicht reproduziert, sondern mit Mustern lustvoll jongliert wird. Auch wenn der Regisseur Klaus Schumacher den Darsteller Klaus Schumacher verdrängt hat, ein Spieler ist er geblieben.