Mach et, Otze!
Über Punk in der DDR, Dieter Otze Ehrlich und den Mythos um all das. Ein Text von Musikjournalist Andreas Schnell.
Vertieft man sich ein wenig in die Geschichte von Dieter Ehrlich, besser bekannt als Otze, Schlagzeuger, Sänger und kreativer Kopf der Band Schleim-Keim oder auch Schleimkeim, stößt man bald auf Widersprüche, Ungereimtheiten, Unklarheiten.
Das hat auch, aber nicht nur mit Punk an und für sich zu tun.
Zwar streiten sich seit Jahrzehnten Punks (meistens mit anderen Punks) darüber, was Punk ist (und ob er nicht schon lange oder mindestens seit Kurzem tot ist). Aber genau das gehört eigentlich zum anarchischen Kern von Punk: Das allerschlimmste ist, wenn jemand anders etwas bestimmen darf. Zum Beispiel darüber, was Punk ist. Ein anderer Grund ist historisch bedingt. Denn in der DDR, deren wichtigste Punk-Band Schleim-Keim waren, gab es keine einschlägige Untergrundpresse, die akribisch verfolgte, was in der Punk-Szene geschah. Die groben Eckdaten lassen sich immerhin problemlos Quellen wie der Wikipedia entnehmen: 1980 gründete Ehrlich (Gesang und Schlagzeug) die Band in Stotternheim bei Erfurt mit seinem Bruder Klaus Ehrlich (Gitarre) und Andreas Deubach (Bass), 1996 löste sie sich auf, drei Jahre später erschlug Otze seinen Vater mit einer Axt und verbrachte den Rest seines Lebens in einer psychiatrischen Einrichtung, wo er 2005 an einem Herzinfarkt starb.
Diese tragische Geschichte trug gewiss zum Mythos der Band bei, aber sie erklärt ihn nicht. Zentral ist das Verhältnis der DDR zu ihren Punks.
Viele Punks landeten immer wieder im Gefängnis, bekamen Gaststättenverbot, ihre Wohnungen wurden von der Polizei durchsucht. Ein unabhängiges Netzwerk von Plattenlabels, Konzertveranstaltern und Fanzines, wie es sich in den USA und Europa entwickelt hatte, war in der DDR kaum denkbar. Ausgerechnet die Kirchen boten damals Freiräume. Und auch wenn sich ab Mitte der 80er-Jahre die Situation ein wenig entspannte und einige Bands wie Die Skeptiker eine sogenannte Einstufung bekamen und somit auftreten und veröffentlichen durften: Die Szene blieb weitestgehend im Untergrund. Und so ist die Geschichte von Punk in der DDR ohne Einsicht in die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit kaum zu schreiben, in denen man auch über Otze Ehrlich einiges herausfinden kann. Punk, das waren dem realsozialistischen Deutschland „sehr primitiv gestaltete Entäußerungen einer pessimistischen Lebenshaltung mit anarchistischen Zügen, allgemeiner Unzufriedenheit und einer grundsätzlichen Opposition gegenüber der staatlichen Ordnung“, notierte ein Beamter des MfS.
Das erste Album von Schleim-Keim, DDR von Unten von 1983, gilt zugleich als erste DDR-Punk-Platte.
Die gemeinsame Veröffentlichung mit Zwitschermaschine war zwar in Hermsdorf bei Dresden aufgenommen worden, erschien aber bei dem Westberliner Label Aggressive Rockproduktionen. Schleim-Keim tarnten sich für das Album unter dem Namen Sau-Kerle, was sie jedoch nicht vor Repressionen bewahrte. Für den Transport in den Westen sorgte Sascha Anderson, Mitglied von Zwitschermaschine – und Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), der „Stasi“. Nach der Veröffentlichung bekam Familie Ehrlich bald Besuch ... Und auch Ehrlich ließ sich übrigens gegen Bares und Zigaretten, so heißt es, als Informant verdingen, zumindest für eine kurze Zeit. Wobei seine Wegbegleiter jener Jahre im Nachhinein betonen, er habe niemandem damit geschadet. Niemandem außer vielleicht sich selbst. Es ist zumindest keine sehr abwegige Deutung, dass sein späteres Abdriften auch damit zu tun hat, dass er sich verkauft hatte. Nach der Wende, als das Interesse an der Kultur und Subkultur der DDR erlahmte, entdeckte Otze elektronische Musik, experimentierte auf eigene Kappe unter dem Namen Mülltech und nahm mehr Drogen zu sich als gut war. Geblieben ist, wie gesagt, der Mythos, der sich aus den gar nicht einmal so vielen Konzerten und relativ wenigen Veröffentlichungen speist, aus der ungezügelten Energie ihrer Musik und Texte, in denen Otze Ehrlich das Unbehagen am Leben eben nicht nur im Realsozialismus bearbeitete. „Norm, Norm, Norm – Du bist zur Norm geboren / Schaffst du keine Norm, bist du hier verlorn“, heißt es im Refrain von Norm, einem Lied, in dem die gesellschaftliche Formatierung erst im Himmel endet.
MUSIKTHEATER
NOPERAS! – OPER OTZE AXT
von Dritte Degeneration Ost
Komposition: Richard Grimm
Regie: Romy Dins, Frithjof Gawenda
Premiere am Fr 4. Juli 2025 im Kleinen Haus
Nur drei Termine!
Veröffentlicht am 19. Juni 2025.