Man muss schon auch schwitzen können im Musiktheater
Patrick Zielke erhält den FAUST-Preis als Sängerdarsteller für seinen Baron Ochs im Bremer Rosenkavalier. Wir gratulieren von Herzen. Im Gespräch mit der Dramaturgin Isabelle Becker erfahren wir mehr über den Ausnahmesänger
„Patrick Zielke ist zweifellos einer, der brennt“, so hatte Ingo Gerlach, bis 2018 Leitender Musiktheaterdramaturg in Bremen, ihn in seiner Laudatio für den Kurt Hübner Preis 2015 treffsicher beschrieben. Nun folgt der FAUST-Preis in der Kategorie „Sängerdarsteller Musiktheater“ für seinen Baron Ochs im Bremer Rosenkavalier – und damit zeigt sich einmal mehr, dass der Bass mit der tiefen Sprechstimme nicht nur ein Ausnahmesänger mit einer farbenreichen, gut kultivierten Stimme ist, sondern auch ein satter Spieler, der immer bis an seine Grenzen geht und darüber hinaus – auf der Suche nach dem Eigenen, nach Verausgabung, nach Musiktheater. Seine Interpretation des Baron Ochs war eine „bärenstarke[n] Nummer“, fand offensichtlich nicht nur Detlef Brandenburg von Die Deutsche Bühne. „Wie er diesen fetten, vitalen, bäurischen Womanizer auf die Bühne wuchtet, ein erotisches Monster von widerwärtiger Unersättlichkeit und Skrupellosigkeit, das hat große Klasse.“
Es ist jener Spagat zwischen Schauspiel und Singen, zwischen Klangschönheit und szenischem Ausdruck, der ihn in seiner Arbeit regelmäßig in einen kreativen Konflikt bringt.
„Schauspiel und Singen sind zwei Professionen, die muss man als Opernsänger zusammenbekommen.“ Es reiche nicht, astrein zu singen und im richtigen Rhythmus zu bleiben. Patrick Zielke denkt Musiktheater mehr vom Schauspiel aus: „Es geht immer um die speziellen Momente und nicht um den Standard, den man nach sieben Jahren Berufserfahrung abliefern kann. Ich will eine Figur auf die Bühne bringen, unter der Drucksituation, dass die Musik immer weiterläuft und es schön klingen muss.“ Diese Art der Überforderung finde er gerade spannend am Musiktheater. Im Rosenkavalier-Bühnenbild von Sebastian Hannak war es zudem eine sportliche Herausforderung: Sein Baron Ochs sprintete über meterhohe Stufen des sich wandelnden Labyrinths rauf und runter, rollte ohne Skrupel wieder hinab, warf sich zu Boden. Mal überdreht, mal abgelöscht, mal brutal, mal fragil. Wahrscheinlich würden viele Opernsänger*innen unterschreiben, dass Singen wie Sportmachen ist. Patrick Zielke sucht aber die richtige Verausgabung: „Man muss schon auch schwitzen im Musiktheater. Und das nicht, weil das Kostüm warm ist und die Scheinwerfer brennen, sondern weil man sich wirklich bewegt. Das ist die Chance, um interessante Farben zu finden, die noch nicht da waren.“
Dass Sänger ein richtiger Beruf sein kann, der jetzt seinen Alltag bestimmt – zwischen Proben und Vorstellungen in Mannheim, Bremen oder Basel, Checken von Tagesplänen, weiten ICE-Fahrten und natürlich Familie – konnte er sich in seiner Kindheit gar nicht ausmalen.
„Ganz normal“ aufgewachsen in Überlingen am Bodensee hörte er zwar schon mit zehn Jahren ganz „nerdie“ nur klassische Musik, sang im Schulchor gezwungenermaßen Solo, weil er der einzige Junge im Bass war und übte mit der alten Akkordeon-Schule seines Vaters auf einem von Oma Marlis angeschafften Keyboard. So richtig ernst wurde es aber erst, als er mit 14 Jahren anfing, Klavierunterricht zu nehmen. „Das hat so gezogen von der ersten Stunde an“, dass er bei der in der Schule angebotenen Berufsorientierung mit auf grauem Umweltpapier gedruckten Beschreibungen über die Berufe Dirigent, Komponist, Opernsänger und Pianist nach Hause kam. „Ich wollte einfach irgendwas mit Musik machen. Was, das war mir völlig egal.“ Seine Eltern rieten ihm dazu, etwas Anständiges zu machen, weshalb der Badener vom Bodensee sich 2004 für das Studium der Schulmusik in Stuttgart einschrieb. Im Nachhinein seine Rettung, weil er – ohne weitere Vorbildung – sicherlich nicht zum Kompositions- oder Gesangsstudium zugelassen worden wäre. Trotzdem investierte er mehr Zeit ins Klavierspiel und Dirigieren als in die Musikpädagogik. Und der Gesang? Er verbrachte viel Zeit in der Mensa, tauschte sich dort mit Gesangsstudierenden aus. „Ich hab schon immer viel Scheiß und Witze gemacht und alle Leute unterhalten. Da dachten alle, na klar, der muss Sänger sein, die sind ja tendenziell immer lauter.“ Auch heute – das sei als kleine Randnotiz erlaubt – ist die Kantine der Ort, wo man die besten Gespräche mit Patrick Zielke führt, beim Essen, bei einem Kaffee zwischen den Proben. Hier wird man Zeuge seines Humors und seines Talents, Kolleg*innen treffend genau zu imitieren.
Er ist ein wacher Beobachter und liebt den geselligen Austausch, auch wenn man hin und wieder selbst zur Zielscheibe seines Spotts werden kann. Touché, Herr Zielke.
Der Chorleiter des Hochschulchores, Dieter Kurz, bemerkte, mit welcher Leichtigkeit er seine Stimme in die extremen Tiefen schrauben konnte. Nach fünf Semestern Schulmusik war er es auch, der Patrick Zielke ohne sein Wissen zum Vorsingen bei der Gesangsprofessorin Dunja Vejzovic anmeldete. Nach nur drei Tagen sang er mit dem Schubertlied Auf der Donau vor – Daumen hoch: „Patrick, wir können arbeiten“. Er erhielt gratis Unterricht bei Vejzovics Meisterkursen auf der kroatischen Insel Rab, begleitete dafür als Pianist die anderen Sänger*innen und wurde nach einem komplizierten Wechselverfahren in ihre Gesangsklasse aufgenommen. Zwischendurch kam sein erstes Kind zur Welt. In nur vier Semestern musste er nachholen, was andere in zehn machten. Nicht immer nur eine leichte Zeit.
Sein Geld verdiente er – was viele über ihn nicht wissen – auf ganz anderem Terrain.
Unter dem Künstlernamen „Bass Spencer“ tourte er 2006 bis 2011 mit dem erfolgreichen A-Cappella-Comedy-Quintett FÜENF durch den Süden Deutschlands, machte CD-Aufnahmen und trat in Shows mit namhaften Comedians auf. Auch wenn sich seine Performance größtenteils auf das rhythmusgebende „Dum Dum Dum“ beschränkte – was auch zu kritischen Kommentaren an der Hochschule führte – so tat es ihm gut. „So viel gelacht habe ich in meinem ganzen Leben nicht mehr.“ Er selbst hat keine eigenen Songs im Stile Reinhard Meys geschrieben – kein Talent, die anderen waren gewitzter. Er lacht. „Ich bekam, wenn es hochkommt, eine halbe Moderation. Und die war noch schlecht.“ Beim 20. Jubiläum der Truppe stand er vor der ausverkauften Liederhalle Stuttgart wieder mit auf der Bühne. Das Konzert zum diesjährigen 25. Bestehen wurde auf das kommende Jahr verschoben.
Talent und Nerven für die Bühne hatte er, das Handwerk für die Theaterbühne erlernte er in seinem Master Oper, in der Opernschule Stuttgart.
„Das war himmlisch“. Szenischer Unterricht, Fechten, die Arbeit an Farben im Text und Gesang, Schauspielunterricht. Im Übrigen hatte er immer mehr Kontakt zu den Schauspielstudierenden und konnte sich von ihnen abschauen, was wie wirkt und funktioniert. „Es war zugleich Freude, Inspiration und Anstrengung, Patrick in der Opernschule Stuttgart zu unterrichten!“, so Kathrin Prick-Hoffmann, bis 2015 Professorin für Szenische Leitung der Opernschule.
„Wissbegierig, wortreich, experimentierfreudig stürzte er sich in die szenische Arbeit. Wie ein wilder Gaul über die Prärie galoppierend konnte man miterleben, wie er sich langsam selber an die Zügel nahm.“
Sein erstes Theaterengagement führte ihn nach Luzern. Das war 2011. Bei einem Gesangswettbewerb wurde ein anderer Agent auf ihn aufmerksam. Für ihn wie für uns eine glückliche Fügung. Denn er vermittelte Patrick Zielke in der Spielzeit 2013/14 an das Theater Bremen. Er habe alles richtig gemacht, denn seine Bremer Zeit war eine „Erweckung“. Hier traf er musikalische Partner wie den Generalmusikdirektor Markus Poschner, er fand im Regisseur Benedikt von Peter oder im Dramaturgen Ingo Gerlach Menschen, die ihm zeigten, dass Musiktheater relevant sein kann, intensiv und jenseits von Konventionen. Mit einem tollen Ensemble an seiner Seite entdeckte er als Sänger und Spieler, dass es nicht immer darum geht, die großen Partien zu singen, sondern welchen Reiz es haben kann, als Astolfo in Orlando furioso stundenlang mit einer Blume in der Tür zu stehen, als Thoas in Oreste, als Boris in Lady Macbeth von Mzensk oder als Performer in Les robots ne conaissent pas le Blues sich zu verausgaben und richtig an einem Stoff abzuarbeiten, oder als Gurnemanz dort ein fragiles Piano zuzulassen, wo andere draufdrücken. „Patrick begreift Singen als Zustand“, weiß der Parsifal-Regisseur Marco Štorman, „ein Zustand, in dem die körperliche Verfasstheit der Figur mitklingen muss. Für ihn zählt nicht der perfekte Klang, sondern die Durchdringung, die Extreme: wie leise, wie atemlos, wie schrill kann die Musik klingen, um das Dargestellte mit der Musik zu verzahnen.“
Eine Partie nur aufzuführen, reicht ihm nicht.
Patrick Zielkes Anspruch ist es, mit jedem Stück und jeder Interpretation weiterzugehen. „Wenn ich zum Beispiel Gurnemanz oder den Ochs mache, dann kann ich ja nur versuchen, mit einem ganz persönlichen Zugang einen frischen Zugriff zu schaffen. Es geht ja darum, dass ich das singe.“ Seine Partien arbeitet er akribisch vor – da kommt der Schulmusiker durch. Doch zu den szenischen Proben erscheint er blank wie ein weißes Blatt Papier. Für ihn sei das gerade die Kunst, sich frei zu machen und auf alles einzulassen. Schließlich wisse er nicht, was der/die Regisseur*in genau mit einem Stück vorhabe. Schlimm findet er diese Absolutheit: „So muss Mozart oder eine Rolle XY sein.“ Die Werke seien viel größer. „Wichtig ist doch die Frage, was man persönlich damit erzählen will.“ Er ist gerne ein Rädchen im Gefüge einer Produktion, arbeitet gerne seine sieben bis acht Stunden am Tag, probiert Dinge aus, so lange, bis sie klappen und versucht, intensiv in die Gefühle zu gehen. Alles, was er dazu braucht, ist ein Umfeld, das ihm Vertrauen entgegenbringt. Der Regisseur von Der Rosenkavalier Frank Hilbrich gab ihm dieses Gefühl. Er habe in ihm etwas gesehen. Das stimmt: „Patrick Zielke ist für mich gelebtes Musiktheater. Ein Musiker, ein Stimmvirtuose, ein feinsinniger Stilist, der mit genauer Kenntnis, Wachsamkeit für alle Belange und unbändiger Theaterlust das umsetzt und weiterführt, was in den Partituren vornotiert ist und es im Hier und Jetzt zum Ereignis werden lässt. Ich bin neugierig auf jeden seiner Auftritte.“
Auch Patrick Zielke ist neugierig auf das, was kommen mag: auf neue Arbeitskontexte, aber auch kontinuierliche Arbeiten mit Teams, darauf, hin und wieder mal mit Stars und Sternchen auf der Bühne zu stehen, um zu sehen, was sie so machen. Wunschpartien? Die des Hagen in der Götterdämmerung wäre noch spannend. Ansonsten bleibt er bescheiden. Hauptsache der Rahmen stimmt – auf den Proben oder in Gesprächen über die guten alten Zeiten in der Oper mit seinem Gesangslehrer Klaus Wallbrecht, bei einer Flasche Wein und selbstgekochtem Essen.