Schauspiel

Brauhauskeller

Das große Heft

Es ist Krieg. Die Mutter bringt die namenlosen Zwillingsbrüder aufs Land zu ihrer Großmutter in der Hoffnung, dass sie dort sicherer wären als im Bombenhagel der großen Stadt. Die Großmutter schimpft sie „Hundesöhne“ und lässt die beiden hart für Unterkunft und Essen arbeiten. Doch die Kinder lassen sich davon nicht verschrecken. Sie sind zu klug, um in dieser Welt auf Liebe und Mitgefühl zu hoffen. Systematisch härten sie sich gegenseitig ab, um zu überleben. Lernen es, Schmerzen auszuhalten und selbst welche zu verursachen, sie trainieren sich Mitleid ab und nähern sich Schritt für Schritt der Kunst des Tötens an. Dabei werden sie von der unerbittlichen Sehnsucht nach Wahrheit getrieben. Alles, was sie erfahren und als wahr erkennen, tragen sie in das große Heft ein. Ágota Kristófs modellhafte Chronik der schleichenden Entmenschlichung zweier Kinder zu Kriegszeiten machte sie berühmt. Die große ungarisch-schweizerische Autorin schrieb ihren Debutroman Das große Heft im Alter von 51 Jahren im mühevoll erlernten Französisch während ihrer Exilzeit. Mit kurzen, harten Sätzen und schwer zu ertragender Sachlichkeit dokumentiert sie in knappen, tagebuchartigen Aufsätzen die Suche der beiden Kinder nach eigenen Moralvorstellungen.

Dauer: ca. 1 Stunde und 30 Minuten, keine Pause

  • „‚Das große Heft’ heißt das Stück nach dem gleichnamigen Roman der ungarisch-schweizerischen Autorin Ágota Kristóf. Es erzählt weniger vom Krieg selbst als vielmehr von der Kunst, ihn zu überleben – seelisch, nicht körperlich. […] Das Leben bei Großmutter entpuppt sich als Krieg im Kleinformat: ein Existenzkampf in einer verwahrlosten, feindlichen Welt, eine tägliche Herausforderung für Geist und Seele. Die Zwillinge trainieren sich darin in der Bezähmung ihrer Gefühle.“
    Johannes Bruggaier, Kreiszeitung, 3. Mai 2015

    „Mit der Roman Adaption von Ágota Kristóf -Das große Heft, der erste Teil einer Trilogie, hinterlässt Welge einen signifikanten Fussabdruck im Brauhauskeller. Die Tiefe des Raums bietet ihr ein abwechslungsreiches Spiel mit Nähe und Distanz zwischen Publikum und zu erzählender Geschichte. […] Die Inszenierung ist literarisch. Dabei kommt die Wesensart der Autorin Ágota Kristóf stark zum tragen. Sachlichkeit in strengster Form. Die Zwillinge, die das große Heft mit ihren Erfahrungen voll geschrieben haben, sprechen wie aus einem Mund. Sie sind sich nicht einig wie Brüder es sind, wenn sie verschwörerisch etwas verbotenes tun, sondern weil sie ausgestoßen sind, in der feindlichen Fremde, und sich zu einer Persönlichkeit zusammenschweißen. Es ist Angst die sie vereint. […] Es gibt keine einzige Nachrichten Sendung ohne Berichte über brutalste Gewalt. Ist das die Zukunft die wir haben wollen? Theresa Welges Inszenierung legt ihren Finger genau in diese Wunde der Zivilisation. In einer stoischen Erzählweise führt sie die Zuschauer durch die Geschichte dieser Zwillinge. Zuschauer sind wir - teilnahmslose Zuschauer die der gelungenen Inszenierung applaudieren und hinterher diskutierend einen Rotwein trinken.“
    Friedo Stucke, Eigene Werte Verlag, 3. Mai 2015

    „Irene Kleinschmidt verkörpert vor allem als Großmutter und Pfarrersmagd mit kargem Ton die Erwachsenen, die, selbst verhärtet, keine Liebe zu geben haben. Justus Ritter und Peter Fasching sind die, äußerlich höchst ungleichen, Zwillinge. […] Der Brauhauskeller bietet den intimen Rahmen für eine Inszenierung, die zunächst eher Züge einer szenischen Lesung trägt. Erst allmählich entwickelt Theresa Welge bei ihrem Regie-Debüt daraus Szenen, die auch räumlich langsam ans Publikum heranrücken. Ein quadratischer Metallrahmen wandert dabei aus seiner Ausgangsposition unerbittlich in Richtung Bühnenrand.“
    Andreas Schnell, taz, 4. Mai 2015

    „Der Abend rückt eindrücklich die Erkenntnis ins Bewusstsein, dass Kriege tatsächlich nicht nur an der Front stattfinden. Um dem Bombenhagel in der Stadt zu entgehen, werden zwei namenlose Zwillingsbrüder von ihrer Großmutter aufs Land gebracht. Schutz, ja, aber um welchen Preis? Hunger, Kälte, Verrohung bestimmt von nun an ihr Leben. Das Elend, das sie hier erfahren, versuchen sie unter größter Willensanstrengung in Worte zu fassen – und sie erfinden eine Reihe von grausamen Spielen, die ihrer seelischen Abhärtung dienen sollen. […] Das Wachstum einzustellen, bildet für den Großen (Ritter) keine Option, wie bei einem gewissen Seelenverwandten namens Oskar Matzerath. Man könnte beim Anblick dieser komischen Schreckensvögel aber auch an Stan und Olli denken, wären die Weltbeschreibungen, um die sie schmerzensreich ringen, nicht von einer albtraumhaften Beklemmung gezeichnet. Ihre Schilderungen drehen sich um die Großmutter, die in Gestalt von Irene Kleinschmidt zunächst etwas gräulich im Hintergrund sitz, die später als Magd aber ihre schauspielerische Klasse zeigen wird. […] Das ist mithin starker Tobak, welcher allerdings in einer unterkühlten Texttemperatur verabreicht wird. Die beiden Schauspieler Peter Fasching und Justus Ritter bilden äußerlich nämlich ein Gespann, das zum Komischen tendiert und damit den besprochenen Schrecken in menschliche Gewänder kleidet. […] Handelt es sich bei diesem Stück also einzig um einen Beitrag zum Andenken an den vergangenen Weltkrieg? Tatsächlich muss man angesichts der heutigen Flüchtlingsströme und der erhöhten Alarmbereitschaft rund um die Ukraine bezweifeln, ob die geschilderten Zustände tatsächlich der Vergangenheit angehören. Diese sogenannte kleine Inszenierung vergegenwärtigt dies eindrucksvoll.“
    Sven Garbade, Weser Kurier, 4. Mai 2015