Uneinfangbar … über Subkultur und Punk

Ein Gespräch zwischen Kira Sackmann vom Lagerhaus, Regisseur und Sänger Schorsch Kamerun und Dramaturgin Frederike Krüger.

Subkultur, Popkultur, Hochkultur. Das sind Begriffe, die als theoretische Forschungsbereiche vor allem in der Soziologie eine Rolle spielen. Wie sieht es in eurer Lebenspraxis damit aus, findet ihr euch darin wieder?

Schorsch Kamerun: Ich kann ja mit allem etwas anfangen, finde aber solche Zuschreibungen oft auch unterkomplex.

Kira Sackmann: Also im Theater bin ich nicht so oft. Aber ich bin seit zehn Jahren in der Bremer Kulturszene aktiv und damit wahrscheinlich auch Teil der Subkultur. Ich bin unter anderem im Lagerhaus für die Programmleitung verantwortlich. Über die Jahre kamen aber noch mehr Aktivitäten hinzu: Musik nicht nur hören, sondern selbst machen, Tourbegleitung für verschiedene Bands, Mitarbeit auf kleinen und großen Festivals. Außerdem habe ich vor sechs Jahren zusammen mit einer damals noch recht kleinen Gruppe von Leuten ein Kneipenprojekt gestartet – das Horner Eck. Das versucht gerade, sich als kleinstes Kulturzentrum Deutschlands einen Namen zu machen.

Das klingt ziemlich umtriebig.

Kira Sackmann: Ich versuche, in Bewegung zu bleiben. Und ich interessiere mich immer dafür, was in der Szene los ist, in der ich mich zuhause fühle. Das ist die Subkultur, das ist der Punk.

Was bedeutet Subkultur überhaupt?

Kira Sackmann: Ich glaube, Subkultur ist immer eine Gemengelage aus unterschiedlichen Szenen. Es ist schwer zu sagen, dass es die eine Subkultur gibt. Es gibt die Punks, es gibt Ultras, Hip-Hop, Techno … Ich fühle mich schon eher im Punk zuhause.

Schorsch Kamerun: Mein Verständnis von Subkultur ist der Versuch des autonomen, gegenkulturellen Experiments als Lebensentwurf. Aber: Subkultur sollte immer auch fluide sein. Wenn zum Beispiel jemand sagt „das genau ist Punk“, dann ist Punk eigentlich schon erledigt.

Schorsch, schaut man sich deinen Werdegang an von der sozialen Abgeschiedenheit vom Timmendorfer Strand über Hamburg und St. Pauli, den Goldenen Pudel Club, den Goldenen Zitronen zu Produktionen an kleinen und großen Stadttheatern in ganz Deutschland … scheinst du dich an vielen Orten wohlzufühlen.

Schorsch Kamerun: Die Themen, die dich, Kira, so umtreiben, die begleiten mich auch schon lange. Dieses Suchen und sich innerhalb von Szenen bewegen und die Frage, wie man sich darin positioniert. Angefangen habe ich als „Dorfpunk“, dann mit den Goldenen Zitronen in Hamburg. Wir hatten das Glück, gerade so viele Tonträger zu verkaufen, dass wir erstmal davon leben konnten. Übrigens waren wir beim Bremer „Weser Label“ untergebracht. Wir hatten für eine gute lange Zeit die Möglichkeit bei voller Selbstkontrolle „professionell Independent“, als „unabhängig“ und gleichzeitig ausgestattet mit ausreichendem Broterwerb zu sein.

Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Finanzierte Unabhängigkeit?

Schorsch Kamerun: Vielleicht. Aber bedeutet Subkultur nicht immer auch, im Widerspruch zu leben? Wir hatten damit jedenfalls das Glück, in einer Umgebung zu sein, die es noch möglich machte, zu experimentieren, weil sie jahrelang „unter dem Radar“ stattfand. Parallel dazu haben wir Anfang der Neunziger den Golden Pudel Club am Hamburger Hafen gegründet, als einen Raum für alternative Clubkultur.

Was bedeutet das?

Schorsch Kamerun: Wir wollten keinen Laden aufmachen, um das große Geld zu verdienen oder um einen Beruf daraus zu machen. Wir haben daran geglaubt, dass wir etwas wirklich „anders“ machen müssen, weil wir unzufrieden waren mit Teilen der sich rasant entwickelnden Ausgehkultur auf St. Pauli, die anfingen mit ausgrenzender Türsteherei, die dann schnell „harte Tür“ wurde und so weiter. Wir wollten keine oder niedrige Eintrittspreise, wir wollten, dass nicht nur Typen auflegen, sondern auch Frauen. Wollten bezahlbare Getränke. Wir wollten einen bewusst politischen Szeneort, an dem man sich mit Laune und Widerstand selbstbestimmt die eigenen Werte zurückholt und daraus nicht nur simple Wertschöpfung ziehen will. Diesem Credo folgt der Pudel Club zum Glück bis heute. Auch, weil wir das Privileg hatten, das Gebäude dem Markt entziehen zu können – luxuriös gestützt durch eine Kulturstiftung. Die Verabredung ist dabei, dass der Club, vertreten durch unseren „VERFÜGE“-Verein für Gegenkultur bis in alle Ewigkeit unzensiert das Programm gestalten kann und sich frei organisiert.

Dieser Wunsch, es anders zu machen, scheint der Subkultur eingeschrieben zu sein. Das bedeutet auch, sich gegen Widerstände aufzulehnen. Haben sich diese Widerstände geändert?

Schorsch Kamerun: Subkultur will eine Alternative sein. Gegen den Mainstream, gegen die Bürgerlichkeit, gegen das Establishment. Wir kritisieren die Verhältnisse. Die Widerstände sind dabei extrem näher gerückt, zutiefst in die „Geschäftsführung des Selbst“, Stichwort Gentrifizierung.

Kira Sackmann: Wir versuchen, andere Strukturen zu schaffen, auch miteinander anders umzugehen. Geschlechterrollen aufzubrechen, Hierarchien abzubauen. Im Moment sind subkulturelle Orte oft immer noch weiß und männlich. Das muss sich ändern.

Schorsch Kamerun: Ja, auch in der Subkultur hat man es weiter mit männchenhaften Klüngeleien oder dominanten Narzissmen zu tun. Leider. Aber der Hauptantrieb war für uns, dass wir uns uneinfangbar machen von der gesamten Ökonominierungs- und Verwertungsmaschine. Das haben wir als Laden geschafft und auch heute würde ich sagen, dass mich die Leidenschaft für das Experimentieren immer noch genauso antreibt.

Kira Sackmann: Mir ist wichtig, etwas mitzugestalten, was abseits von Leistungs- und Perfektionsdruck existieren kann.

Wie unabhängig lässt es sich denn leben innerhalb dieses kapitalistischen Systems, in dem wir agieren müssen?

Schorsch Kamerun: Ich glaube, Gentrifizierung und Markenschaffung ist ein ganz wesentlicher Aspekt der Veränderungen in der Subkultur. Die heutige Generation muss ganz anders, „unspielerischer“ Geld generieren. Es ist alles teurer geworden, Personal, Einkauf, Miete oder Pacht, die GEMA. Wir haben damals einen Schlüssel in die Hand gedrückt bekommen mit den Worten „Macht mal, was ihr wollt. Hauptsache, es passiert irgendwas“. Heute muss meist ökonomischer gedacht werden, als Club, als Band, als Veranstalter:innen. Komplett unabhängig, also Indie zu sein, das halte ich für wesentlich schwieriger machbar. Hattet ihr einen Businessplan?

Kira Sackmann: Nein. Wir haben als Kollektiv angefangen, 2019, also kurz vor der Pandemie, eine Kneipe zu übernehmen, die es schon seit 45 Jahren gibt. 2020 sind wir dann schon eine Genossenschaft geworden.  

Wie kam es dazu, dass ihr eine Eckkneipe retten wolltet?

Kira Sackmann: Das ist doch schlicht scheiße, wenn so lange erhaltene Orte nicht weiter existieren können. Leider mussten die Frikadellen wegen der Raucherlaubnis ausziehen, aber der Ort des Zusammenkommens sollte bleiben. Und wir hatten keine Ahnung, wie das eigentlich geht. Aber wir waren eine Handvoll Leute, die sich zusammengesetzt und überlegt hat, was eine gute Kneipe braucht.

Was heißt das?

Kira Sackmann: Günstiges Bier natürlich. Aber im subkulturellen Kontext bedeutet das vor allem, Teilhabe für alle. Irgendwann hieß es dann, das Haus wird verkauft. Also mussten wir wieder reagieren, haben eine zweite Genossenschaft gegründet und das Haus gekauft. Das war verdammt viel Arbeit.

Was macht das Horner Eck zum Teil der Subkultur?

Kira Sackmann: Es ist ein Ort, den man auch politisch bespielen kann. Wir machen unter anderem auch Konzerte oder Lesungen, aber es soll auch eine Fläche sein, wo sich Politgruppen treffen. Wo jemand Fanta-Korn trinkend gesellschaftliche und politische Konzepte austüftelt wie beispielsweise das Gründen einer Genossenschaft. Also eigentlich ist die Kneipe ein bisschen wie ein Spielplatz, auf dem wir uns die Welt ein Stück weit so gestalten können, wie wir sie gerne hätten. Im September machen wir beispielsweise eine Kneipen-Oper. Ich weiß noch nicht, wie das wird. Aber wir haben Lust auf wilde Sachen. Auch mit Leuten aus der Hochkultur.

Schorsch, du bewegst dich ebenso selbstverständlich in der Hochkultur wie in der Subkultur. Fühlt sich das für dich widersprüchlich an?

Schorsch Kamerun: Ich komme jedenfalls nicht als Punk ans Theater, weil ich nicht daran glaube, Punk im Theater zu machen. Das halte ich für Blödsinn. Wenn im Theater jemand rockt, ist das eigentlich eher albern, weil es ja eine Vorführung von Rock ist. Was mich aber verbindet zwischen Punk und Theater, ist der Wille künstlerischer Irritation. Und dann die Themen. Die müssen im Theater nicht unschärfer sein, als in einem Club, einer Kiezszene oder vielleicht eurer Kneipe.

Kira Sackmann: Vielleicht verbindet das Theater und die Subkultur auch das Kollektive. So stelle ich es mir zumindest vor.

Schorsch Kamerun: Ja, aber im Theater ist es eher temporär. Da tauche ich ein und dann gehe ich auch wieder weg. Das ist für mich eigentlich erfrischend. Ich brauche auch diese vielen unterschiedlichen Aufgaben, meine Band, die unterschiedlichen Theater mit den verschiedenen Menschen. Das Switchen steht mir als nervöser Zweifler ganz gut. Aber eigentlich habe ich den Unterschied zwischen Hoch- und Subkultur nie so gemacht, zumindest was meine Themen angeht.

Aber es gibt ihn doch, oder? Mindestens in der Symbolik.

Schorsch Kamerun: Ja, das lässt sich nicht leugnen. Aber der Unterschied liegt für mich eben eher in den Mitteln und nicht zwangsläufig in den Inhalten. Außerdem hat das Theater schon genauso radikale Formen durchgespielt wie meine Punk-Band oder andere. Nur die Art von Aufführung, die ich hier zum Beispiel probiere, die kann ich nur an einem Theater machen. Mit den Förderungen, die diese Kunst ermöglichen, mit den Strukturen, die es mir erlauben, mit einem ganzen Orchester zu arbeiten beispielsweise. Ich versuche aber auf beiden Schauplätzen immer auch den öffentlichen Raum mitzubespielen.

Kira Sackmann: Der öffentliche Raum ist für mich ein wichtiges Stichwort. Für mich war die Soziokultur ein Schlüssel zur Subkultur. Ich wollte mitmachen, selbst gestalten, sowohl Inhalte als auch Strukturen. Ich wollte selbst bestimmen. Ich hatte zum Beispiel irgendwann Bock, selbst Musik zu machen. Da sagte dann ein Freund, nimm doch mal Schlagzeugunterricht. Ein Jahr später habe ich eine eigene Band gegründet, Teddies Kneipe. Die Subkultur ist ein bisschen meine persönliche Brutstätte. Ich lerne von anderen und gebe mein Wissen genauso gerne weiter. Gleichzeitig gibt es in der Subkultur selbst auch Widerstände, von innen heraus. Die Gehälter sind oft sehr niedrig, Leute arbeiten über ihre Grenzen hinweg, weil sie eben alles selbst machen wollen, aber auch müssen.

Klingt nach viel Idealismus, den es braucht. Und danach, als sei Subkultur auch immer voller Widersprüche.

Kira Sackmann: Das Aushalten der Ambivalenzen zwischen Zugehörigkeit und Individualismus wird sicher immer ein Thema bleiben. Weil es ja immer neue Widerstände gibt, gegen die man aufbegehren muss. Im Moment scheint es mir vor allem darauf anzukommen, der Schnelllebigkeit und dem Überfluss etwas entgegenzusetzen. Und angesichts erstarkender rechter Kräfte ist das physische Zusammenkommen wichtiger denn je.

Schorsch Kamerun: Unbedingt. Und ich will dafür appellieren, immer wieder bereit zu sein für Experimente. In der Kneipe, im Club und im Theater.

Veröffentlicht am 1. Juli 2025.

Konzert

PUNK GOES GOETHEPLATZ

Subkultur trifft Hochkultur
mit Bands (Kochkraft durch KMA, Grenzkontrolle, Nein Danke, Nervous Assistant, Double Life),
Soli-Theke, Second Bandshirt und Golden Shop
Aftershow: DJ Dr. Delirio & Friends.
Im Rahmen von Common Ground – Draußen. Umsonst. Für alle!
Samstag, 05. Juli 2025, 19:15 – 02:00 Uhr

 

SCHAUSPIEL

THE BEAT GOES ON

Musiktheatrale und begehbare Jubiläumsgala
mit den Bremer Philharmonikern
Regie, Songs, Texte: Schorsch Kamerun
Musikalische Leitung: Yu Sugimoto
Komposition und Arrangements: PC Nackt
Premiere: Sonntag, 24. August 2025 um 18 Uhr im Theater am Goetheplatz