Was so los ist? – Ein Gespräch über Clubmusik in Bremen zum Ende der Corona-Beschränkungen

Mantao und Christian betreiben das Studio illegale in der Bremer Weberstraße – einen Plattenladen für Clubmusik und alles drum herum. Guter Kaffee, DJ-Sets und Konzerte inbegriffen. Zum Re-Start der Reihe Theater Bremen CLUB am 9. April werfen sie einen Blick auf die Bremer Clubkultur nach zwei Jahren Pandemie.

Christian: Mantao, du und ich wir sind jetzt seit sechs Jahren befreundet. Wie so viele Leute, die sich in unserer Bubble bewegen, kennen wir uns von gemeinsamen Barschichten und diversen Partys, wo irgendeiner von uns oder unseren Leuten aufgelegt hat. Ich finde es ja immer noch ziemlich strange, wie das wohl heute so abläuft bei den Leuten, die gerade erst in den letzten zwei Jahren angefangen haben zu studieren oder aus anderen Gründen in die Stadt gekommen sind. Das muss schon mega seltsam sein, so hierher zu kommen und es gibt einfach nichts zu entdecken außer ein paar Typen mit 'ner Bluetooth Box am Sielwall-Eck.

Streber oder Raver.  

Mantao: Wir durften uns ja noch entscheiden – Streber oder Raver. Tag oder Nacht. Diese Frage wurde nun einer ganzen Generation nicht gestellt. Alles lag still. Clubs, Kneipen, Konzerträume – alles dicht! Die ersten Partys, die wieder möglich waren, besorgten die Alteingesessenen dann selbst und für sich. Das Ergebnis war ein exklusiver Buschfunk via Telegram. Da war man entweder in den bestehenden Kreisen drin oder nicht. Neue Gesichter hat man auf den ersten Partys kaum gesehen. Als Zugezogene:r war es schlicht unmöglich, von den subkulturellen Veranstaltungen Wind zu bekommen. Da ist es wenig verwunderlich, dass in den letzten Monaten häufig junge interessierte Menschen ins Studio illegale reinstiefelten, die überrascht von unserem Angebot waren. Häufig wurden wir gefragt, wieso wir denn überhaupt mit elektronischer Mucke wie Techno oder House handeln würden. Es wurde schlichtweg angenommen, dass es überhaupt keine Szene in Bremen gäbe, weil die Undergroundclubs ungooglebar und damit unsichtbar sind. Der Grund für diese Exklusivität war natürlich zum einen die Begrenzung der Teilnehmer:innenzahl. Jeder wusste, dass es kein Problem ist, 150 Menschen für einen Rave zu gewinnen, nachdem alle monatelang im Lockdown rumschimmeln mussten. Zum anderen gibt es die Angst, dass die eigens errichteten safe spaces gestört würden.

Für junge Menschen war es fast zwei Jahre lang unmöglich, sich subkulturell zu integrieren, auszugehen, was zu starten.

Nichtsdestotrotz gibt es einige Newcomer in der Clubszene. Erfreulicherweise fallen mir da in erster Linie weibliche DJs wie Mell G, DJ Sweet6teen, DJ Gigola, Sedef Adasi und Marie Montexier ein. Hier in Bremen sind mit EO, Tan Oeuvre, Anis, Samcho Panza und Lady Oelectric auch endlich mehr Frauen fest in der Szene etabliert. Der Sound, den sie spielen, fängt meines Erachtens gut den Zeitgeist ein. Er ist rauer, schneller und ekstatischer als vor der Pandemie. Soundästhetisch knüpft die Musik an die 90er an. Detroit Electro und Techno, Acid, Drum'n'Bass, Breakbeats und Ghetto Tech läuft auf vielen Dancefloors. Nach all den Lockdowns, wo viel Global Funk, Ambient und Jazz gehört und auch bei uns gekauft wurde, ist den jungen Menschen wohl weniger nach Easy Listening.

Die Formel Jazz = kein Stress stimmt nicht mehr.

Christian: Das stimmt. Die Lockdown Mucke ist so langsam wieder verschwunden. Jedoch nicht der Jazz. Die Formel Jazz = kein Stress stimmt nicht mehr. Das ist die Musik der Stunde und sie ist tanzbar, ein bisschen schräg, aber so geradlinig, dass sich dazu problemlos tanzen lässt. Chillig, aber durch breakige Beats so, dass es nie eintönig wird. Der junge Jazz aus London oder Berlin ist mega spannend und hat wenig mit der Opa-Musik à la Duke Ellington zu tun. Der Sound, in feinster Quali aufgenommen und auf Platte gepresst, lässt sich wunderbar mit Breakbeats oder Drum'n'Bass mischen. Mit den CLUB Konzerten im Theater gibt es eine Reihe, die den Sound regelmäßig nach Bremen holt. Hätte es die Urban Jazz Groove Reihe im Lagerhaus nicht schon gegeben, würde sie jetzt vielleicht erfunden werden.

Jazzige Beats waren im Hip Hop wiederum schon in den frühen 90ern angesagt und sind auch bis heute nicht wegzudenken.

Lo-Fi Hip Hop bedient sich feinsten Jazz Sounds, die jedoch eher kratzig als glasklar rüberkommen. In Bremen sind da allen voran die Crew von Am Apparat zu nennen, die mittlerweile deutschlandweit Beachtung findet und deren Crew-Member während der Pandemie nicht untätig rumsaßen, sondern einen Haufen guter Platten produziert haben. The Intergalactic Funk Affair von Ranko oder die nächste Woche erscheinende neue Platte von Spaze Windu und Herr König klingen richtig fett. Und auch die Chameleon Jazz Kaschemme vom grummeligen Chris Barfly im Viertel wird von vielen jungen Leuten besucht. Mit DJ Sotah und Guy Montag hat Bremen auch zwei super DJs mit 'ner Menge Jazz im Gepäck.

Und wer nicht lange warten kann, kommt diesen Samstag (9. April) in den Theater Bremen CLUB zum Konzert von Jimi Tenor mit den eXpresso fuckers (Achtung Eigenwerbung!) in der Aftershow.

Mantao: Im Theater Bremen CLUB war die Atmosphäre immer sehr besonders und ausgelassen, aber auch in anderen Szeneläden und Clubs ist die Stimmung bemerkenswert – jetzt, wo die nächste Generation nun endlich ins Nachtleben finden darf. So wie ich das bisher wahrgenommen habe, wohnt dem jüngeren Publikum eine Achtsamkeit inne, die ich mir schon von meiner Generation gewünscht hätte. Selten habe ich ein so waches Feiern erlebt wie in den letzten Monaten. Die jungen Menschen passen wirklich enorm gut auf sich und ihre Umwelt auf. Da können wir zumindest subkulturell optimistisch in die Zukunft schauen.

 

 

Veröffentlichung: 6.4.22