Musiktheater

Theater am Goetheplatz

Don Giovanni

Dramma giocoso in zwei Akten
von Wolfgang Amadeus Mozart
Text von Lorenzo Da Ponte
Musikalische Leitung: Hartmut Keil
Regie: Tatjana Gürbaca

„vor die wahl gestellt: dauerhafter tod im leben (servilität) oder sofortiger tod, wird sich der radikale das leben nehmen.“ (Bernd Mattheus) — Don Giovanni ist ein Grenzgänger, ein Rastloser, er feiert den Exzess, das Absolute und sucht den Rausch in der Verführung unzähliger Frauen. Als heimatloser Flaneur ist er im nächtlichen Erleben zuhause. Der Eros treibt ihn an und ist doch nur ein Versuch, der Langeweile und Leere zu entkommen. Während alle anderen partout nicht an der schönen Oberfläche kratzen wollen, kann er nicht anders, als den Blick dahinter zu wagen. Am Ende ist er es auch, der dem steinernen Gast die Hand reicht und die Grenze zum Jenseits überschreitet, während die Verlassenen, die von ihm Gedemütigten, zurückbleiben und statt Erleichterung nur schale Leere empfinden: Sie werden ihren Wüstling vermissen. Mozart und Da Ponte entwarfen mit „Don Giovanni“ einen diabolisch-lustvollen Reigen, ein zwischen ernster und komischer Oper pulsierendes Kammerspiel, das mit seinen radikalen Kontrasten dem Titelhelden in nichts nachsteht.

  • Don Giovanni Birger Radde
    Donna Anna Mima Millo
    Don Ottavio Hyojong Kim
    Komtur Loren Lang
    Donna Elvira Patricia Andress
    Leporello Christoph Heinrich, Stephen Clark
    Masetto Benjamin Russell, Stephen Clark
    Zerlina Julia Dawson, KaEun Kim
    La giovin principiante Jenna Blume, Esther Gerken
    Opernchor des Theater Bremen, Bremer Philharmoniker

    Musikalische Leitung Hartmut Keil
    Regie Tatjana Gürbaca
    Bühne und Licht Klaus Grünberg
    Mitarbeit Bühne Anne Kuhn
    Kostüme Silke Willrett
    Mitarbeit Kostüm Carl-Christian Andresen
    Chor Alice Meregaglia
    Dramaturgie Isabelle Becker
  • „Birger Radde vollbringt in der Titelrolle eine Großtat auch deswegen, weil sein Spiel diese Abgründigkeit besitzt und weil sein markiger Bariton nicht nur nach Grandezza und Brillanz sucht (die er indessen sehr wohl besitzt), sondern auch nach dem Schmutz der Welt. […] Und so inszeniert Gürbaca diesen ‚Don Giovanni‘: als einen Abschiedswalzer, dem nicht selten der Charakter der Endspiele Samuel Becketts innewohnt. […] In der Musik war sie schon in der Ouvertüre zu hören, durch die Bremens Erster Kapellmeister Keil seine hellwachen Philharmoniker mit Delikatesse und feinster Artikulationskunst führt. Jede Phrase ist ausziseliert, modelliert, und das wird sich auch im Verlauf des Abends nicht ändern.“ (Jürgen Otten, Opernwelt, Dezember 2019)

    „In Bremen ist eine Travestie des „Don Giovanni“ in die Psychogramme und die Ästhetik heutigen Unterhaltungskinos der heftigeren Sorte zu erleben, die Gürbaca brillant erarbeitet und hinreißend auf die Bühne gefetzt hat. So wie der großartige Birger Radde den Cavaliere spielt, ginge der in seinen immer wieder wechselnden Glamour- und Travestieklamotten von Silke Willrett glatt als bekiffter Rockstar durch; und Christoph Heinrichs Leporello könnte bis in die artifiziell choreographierte Bewegungscharakteristik hinein ein verkommener Bruder von Ziggy Stardust sein. Hegels Herr-Knecht-Dialektik wird auf die Pop-Ikonographie heruntergebrochen – und die beiden machen das phantastisch! […] Über das vokale Niveau kann man nur staunen – wieder einmal in Bremen, was kein Zufall ist, denn hier steckt die Qualität im hauseigenen Ensemble. Einen Moment aber gab es diesem Abend, der nahezu sensationell war: als Hyojong Kim, der Ottavio, im ersten Akt sein „Dalla sua pace“ sang. Diese für die Wiener Fassung nachkomponierte kleine, zweistrophig-liedhafte Arie hat schon die berühmtesten Tenöre das Fürchten gelehrt. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich sie zuletzt so schön, so vollkommen natürlich, dabei klar fokussiert und wunderbar phrasiert, auf der Bühne gehört habe.“ (Detlef Brandenburg, Die Deutsche Bühne, 21. Oktober 2019)

    „Dieser Don Giovanni ist paradoxerweise gleichzeitig auf der Suche nach sich selbst und auf der Flucht vor sich selbst. […] Das wirklich Interessante, der große Kniff, den Tatjana Gürbaca macht, ist, die Frauen wissen alle, worauf sie sich einlassen. […] Ein sehr düsteres Spiel, ein sehr genaues, hinschauendes Spiel auf uns Großstadtberufsjugendliche, die verzweifelt dem Glück und dem Sex hinterherjagen und doch im Grunde unseres Herzen wissen, dass das nicht funktionieren kann. […] Hartmut Keil dirigiert die Bremer Philharmoniker sehr kompetent, im allerbesten Sinne unauffällig, da werden einem nicht die Details um die Ohren gehauen, hier jetzt dies und guck mal dahin und hör dort, sondern in einem Tempo, das sich dieser Bühne anpasst. […] Patricia Andress als Elvira und vor allem Hyojong Kim als Don Ottavio: wirklich gut gesungen. Ein interessanter Abend, der die Akzente sehr spannend neu setzt.“ (Uwe Friedrich, Deutschlandradio, 21. Oktober 2019)

    „Vor allem Donna Anna ist und bleibt Don Giovanni verfallen. Mima Millo singt und spielt das großartig. […] Die Rückhaltlosigkeit, mit der sich Birger Radde auf diesen Selbsterfahrungstripp begibt, fasziniert genauso wie die durchgängige kraftvolle Eleganz seiner verführerischen Stimme. Leporello (Christoph Heinrich) ist so symbiotisch auf seinen Herrn fixiert, dass er den Verstand zu verlieren droht, als der stirbt. Harmut Keil am Pult der Bremer Philharmoniker und der Chor des Hauses runden diesen atemberaubenden Abend zu einem Gesamtkunstwerk mit anhaltender Nachwirkung!“ (Joachim Lange, taz, 23. Oktober 2019)

    „Diese Widersprüchlichkeit arbeitet Gürbaca deutlich heraus. Da wird sich angeschmiegt und weggestoßen, zusammengestanden und auseinandergestoben. Solidarisch ist man vor allem mit sich selbst. Mittendrin Don Giovanni als fleischgewordene Projektionsfläche, Birger Radde und Christoph Heinrich bilden ein infernalisches Duo, […]. Beide bewältigen ihre Partien mit Bravour.“ (Iris Hetscher, Weser Kurier, 22. Oktober 2019)

    „Damit serviert die Regisseurin Don Giovannis Exzesse, der über seiner inneren Leere schon fast wahnsinnig geworden ist, wie auf einem Tablett. Mitreißend agiert Birger Radde: entfesselt, durchgeknallt und vor allem zeitlos in jedem Augenblick. […] Das gilt auch für den ihm geradezu hörigen ‚siamesischen Zwilling‘ Leporello: in keiner bisherigen Inszenierung wurde derart klar, wie sehr Leporello Don Giovanni ist (oder besser sein will) und umgekehrt. Christoph Heinrich tobt durch den Abend mit großer Stimme und einer Intensität, die ab und an im besten Sinne erschreckend ist.“ (Ute Schalz-Laurenze, Kreiszeitung, 22. Oktober 2019)

    „Sie [Mima Millo] war für mich die Gegenspielerin des Don Giovanni schlechthin. Sie ist auch stimmlich unglaublich präsent ... und die große Entdeckung des Abends.“ (Wolfgang Stapelfeld, Bremen Zwei, 21. Oktober 2019)

    „Die Aufführung wird dominiert vom darstellerisch brillianten Birger Radde als Titelhelden Don Giovanni und seinem ebenso großartig zappeligen Sidekick Christoph Heinrich als Leporello. […] KaEun Kims Zerlina ist ein weiterer musikalischer Höhepunkt des Abends. Mit ihrem glockenhellen Sopran singt sie vor allem ihre erste Arie (‚Batti, batti‘) mit zauberhafter Leichtigkeit. […] Dieser Abend ließ sängerisch und szenisch kaum Wünsche offen. Die Regie machte überzeugend die Doppelmoral der Protagonisten deutlich, bei denen der Titelheld gleichzeitig zwei konträre Emotionen hervorruft: Einerseits verurteilen sie Don Giovannis Tun als verwerflich, gleichzeitig haben sie aber auch den Wunsch, diesem Schurken zu folgen. Wer dazu Parallelen in der Politik sucht, wird sicher schnell fündig werden … Begeisterter Applaus für alle Mitwirkenden und das Regieteam war verdienter Lohn für diese ‚Don Giovanni‘ Aufführung.“ (Thomas Birkhahn, IOCO, 23. Oktober 2019)

    „Gürbaca setzt den Fokus auf die permanente Grenz- und Tabuüberschreitung, mit der der verzweifelt suchende Don Giovanni alle in seinen Bann zieht, so sehr, dass nach seinem Tod die Verlassenen nicht erleichtert sind, sondern weiter in eine sinnlose Leere laufen. […]Mima Millo als Donna Anna, Patricia Andress als schwangere Elvira sind zwei hochdramatische Soprane, die erst im zweiten Teil zu weichen und flexiblen Tönen finden, Millo zu scharfkantiger Rachsucht und Andress in ihren Kantilenen zu endlosem Weinen. KaEun Kim als Zerlina und Hyojong Kim als Ottavio, Stephen Clark als praller Masetto und Loren Lang als Komtur spielen differenzierte Perspektiven: das Bauernmädchen Zerlina macht nicht mehr mit und zeigt ihre Ambivalenz schon im Liebesduett mit Don Giovanni. Hyojong Kim markiert deutlich ebenso die neue bürgerliche Zeit und gleichzeitig deren Spießigkeit.“ (Ute Schalz-Laurenze, Neue Musikzeitung, 23. Oktober 2019)

    „Radde singt mit virilem Bariton und spielt mit ausufernder Präsenz. Heinrich ist für dieses Konzept genau der richtige Partner. Mima Millo gibt mit kraftvollem Sopran einen guten Einstand als Donna Anna, Patricia Andress hinterlässt als Elvira besonders mit ‚Mi tradi‘ einen nachhaltigen Eindruck. Hyojong Kim sorgt als Don Ottavio für reinsten Wohllaut. Aufhorchen lässt KaEun Kim mit Anmut und silbrigem Sopranglanz als Zerlina“ (Wolfgang Denker, Foyer, November 2019)

    „Ein großartiger Don Giovanni ist Birger Radde. Er singt und gestaltet seine Rolle hinreißend. Neben ihm ist Christoph Heinrich, passend zur Inszenierung, ein übersprudelnder Leporello. Mima Millo als Donna Anna und Patricia Andress als Donna Elvira übermitteln glaubhaft ihre Rollen. Seinen glänzenden Tenor setzte Hyojong Kim als Don Ottavio ein. KS Loren Lang gab der Figur des Komtur das rechte Profil. Auch KaEun Kim als Zerlina und Stephen Clark als Masetto machten das Brautpaar glaubhaft. Wie gewohnt und erwartet: Alice Meregaglia hatte den Chor trefflich einstudiert.“ (Hermann Habitz, Der neue Merker, Januar 2020)