Schauspiel

Kleines Haus

Nana ou est-ce que tu connais le bara?

Theaterstück über Sex und Arbeit
von LA FLEUR nach Émile Zola
Regie: Monika Gintersdorfer und Franck Edmond Yao

Nana singt nicht gut, Nana spielt nicht gut, Nana tanzt nicht gut, aber hat sie einen tollen Hüftschwung. Sie verkörpert eine radikale Präsenz, die nicht nur auf der Bühne eine aggressiv-erotische Verbindung zu ihrem Publikum herstellt, sondern auch im Leben. Diese wirkliche Welt unterscheidet sich in Zolas Roman kaum vom Theater, das nicht nur von seinem Direktor als Bordell bezeichnet wird. Nana ist darin eine erfolgreiche Unternehmerin, die ihren Körper als erste verfügbare Ressource einsetzt und dabei keine Risiken und Härten scheut, so verlieren einige vormals sehr reiche Männer ihr gesamtes Kapital an Nana, manche lassen dabei sogar ihr Leben. Ein Journalist, der sich ihrem Einfluss wie alle anderen genauso wenig entziehen kann, deutet ihren unaufhaltsamen Aufstieg – aus dem Schlamm der Pariser Trunkenbolde von Château Rouge in die Welt des Geldes und der Ehre – als Rache des Proletariats an der Bourgeoisie.
Aber Nana ist gleichzeitig die perfekte Bewohnerin des Kapitalismus. Sie konsumiert ohne Unterlass und ohne Maß, rückhaltlos verleibt sie sich alles und jeden ein, dabei geht es ihr nicht um die Befriedigung von Bedürfnissen, sondern um das reine Konsumieren – um seiner selbst willen. Für die Bourgeoisie, deren Aufstieg und Herrschaft eng mit dem Kapitalismus verbunden sind, ist Nana das systemerhaltende Element, dem Einzelne zwar zum Opfer fallen, aber nur um das System als solches von innen heraus zu stabilisieren.
Im 19. Jahrhundert war Nana ein bisschen Künstlerin und viel Kurtisane. Im 21. Jahrhundert ist sie Sexarbeiterin und Protagonistin der Performance-Szene, die weder Narration noch eine Rolle braucht, sondern die wie eine Kim Kardashian an ihrem Image als unerschöpflichem Wert arbeitet und spektakulär das Hier und Jetzt krachen lässt. In der Elfenbeinküste und Westafrika gibt es gerade sehr viele Kims, sie heißen: Emma Lohoues, Coco Emilia, biscuit de mer, Eudoxie Yao oder Diaba Sora. Mit den Mitteln des urbanen Tanzes, im Besonderen des Coupé Décalé, und einer starken physischen Intensität unternimmt die afrikanisch-europäische Gruppe LA FLEUR eine freie und zeitgenössische Adaption von Zolas Roman.

Angefertigt in den Werkstätten der MC93

Produktion: LA FLEUR
Koproduktion: MC93 — Maison de la Culture de Seine-Saint-Denis, Theater Bremen, Pumpenhaus Münster
Die Kooperation mit LA FLEUR wird gefördert im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes im Rahmen von "Nana und der Pro Sex Feminismus".



Video: © MC93 2019 - Réalisation Félix Schoeller - felixschoeller.fr

  • „Im Grunde nehmen sie das ‚Fin de Siecle‘-Sittengemälde von Zola und mischen es ganz neu ab: Theater, Pantomime, Musik und Tanz kombinieren sie dabei mit inhaltlicher Analyse. Dabei geht es um Themen wie das Verhältnis der Geschlechter, Sexualität oder Macht. Das Ganze wird dann auch noch upgedatet, also in unser Zeitalter von Showbiz, Influencer und Dating Apps geholt. Außerdem spielt Kolonialismus eine Rolle, denn schließlich kommen viele aus der Truppe von der Elfenbeinküste. […] Aber insgesamt eröffnet die Aufführung einen vielfältigen, zeitgemäßen und vor allem sehr lebendigen Zugang zu Zolas fast 140 Jahre alter Vorlage.“ (Christine Gorny, Bremen Zwei, 22. Februar 2019)

    „Sexyness fürs Oberstübchen. Das Pariser Theater MC93 und das Theater Bremen übersetzen Émile Zolas Roman ‚Nana‘. Heraus kommt ein Abend voller getanzter Gedankenschnipsel. […] Nach der Uraufführung an der Seine ist ‚Nana ou est-ce que tu connais le bara?‘ nun an der Weser als Beweis zu erleben: So geht literarischer Salon heute.“ (Jens Fischer, taz, 24. Februar 2019)

    „Der Bogen ins Heute wird immer wieder geschlagen, nicht nur auf der Textebene: Als sich das gesamte Ensemble in einen rasanten Cancan stürzt, mischt Timor Litzenberger, der als DJ am Rand der Spielfläche musikalische Impulse setzt, sehr zeitgenössische elektronische Beats unter Offenbachs Musik. Es sind solche Volten, die beweisen, dass das dramaturgische Prinzip von La Fleur nach wie vor produktiv ist. Wobei dieser Abend auch auf einer unmittelbareren Ebene immer wieder mitreißt, wenn die übrigens durchweg vorzüglichen Tänzer zu elektrisierenden urbanen Sounds virtuos zeitgenössischen Tanz, Breakdance und westafrikanische Bewegungssprachen verschmelzen.“ (Rolf Stein, Kreiszeitung, 25. Februar 2019)

    „Dem Dekonstrukteur ist nichts zu schwör […].Gut fünf Monate nach der Saisoneröffnung der Bremer Schauspielsparte mit ‚Nathan der Weise‘ ist der enzyklopädisch gestimmte Performancetrupp erneut in Hochform, was die Verschneidung straßenphilosophischer Spitzfindigkeiten mit tanzbaren Trap-Rap-Partikeln anbelangt. Dass das verderbte Paris des 19. Jahrhunderts so nah an die Banlieue der Gegenwart rückt, liegt zum einen an dem Lüneburger Klangkünstler Timor Litzenberger, der einen ebenso beschwingten wie mitreißenden Job macht, zum anderen an den zwölf agilen Akteuren, die in dem knapp zweistündigen Wechselspiel aus Textkommentar und Tanz teils schweißtreibende Arbeit verrichten.“ (Hendrik Werner, Weser Kurier, 23. Februar 2019)
    • Gefördert im Fonds Doppelpass der