Schauspiel

Kleines Haus

WÜST

oder die Marquise von O.... – Faster Pussycat! Kill! Kill!
von Enis Maci
nach Heinrich von Kleist und Russ Meyer
Uraufführung
Regie: Elsa-Sophie Jach

„Knock me down nine times, but I get up ten.” (Cardi B.) — 1808. Eine junge Witwe ist schwanger und weiß nicht von wem. Über eine Zeitungsannonce wird der Vater gesucht, schließlich geht es um Familienehre, und da heiratet man eben auch einen Vergewaltiger. Aber Rache naht! Diese Frau will Gerechtigkeit. 1965. Drei Stripperinnen rasen mit ihren Sportwagen durch die Wüste. Sie fahren schneller und besser als jeder Mann und schrecken vor nichts zurück, um sich zu holen, was sie haben wollen. Das ist vor allem Spaß, aber auch: Geld. Kleist zeichnete in seiner Novelle das Bild einer jungen Frau, die sich durch die Wirren der patriarchalen Strukturen den Weg zur eigenen Gerechtigkeit bahnt, und Russ Meyer schuf einen Film, der im Nachhinein zu einem feministischen Klassiker werden sollte. Regisseurin Elsa-­Sophie Jach findet in der Autorin Enis Maci eine Partnerin, um die normative Darstellung von Weiblichkeit für alle Zeiten in die Luft gehen zu lassen.

  • „Es ist nicht plump erzählt, sondern sehr heiter, sehr klug gemacht. […] Wenn Enis Maci Kleists spröde Sprache runterbricht auf diesen wunderbar ironischen Erzählstil, dann funktioniert der Abend gut, das ist ganz unterhaltsam und ganz unaufgeregt lehrreich. Im zweiten Teil, das ist ein bisschen schade, im Russ-Meyer-Teil, in der Nacherzählung dieses Kultfilms, wird die Inszenierung ein bisschen statisch, da funktioniert diese Brechung nicht so gut. Aber der Abend hat einen großen Charme.“ (Katrin Ullmann, Deutschlandfunk, 10. September 2021)

    „Diese Inszenierung hat ein anspruchsvolles Konzept mit spielerischer Leichtigkeit umgesetzt – mit viel Witz und stimmigen Details. […] Das Nebeneinander von Kleist'scher Sprache und Gegenwartssound funktionierte bestens. […] Ein gelungener Theaterabend, der zu Recht mit begeistertem Applaus für das ganze Team endete.“ (Christine Gorny, Bremen Zwei, 11. September 2021)

    „Ja, vielleicht wird hier wirklich eine fortlaufende Geschichte erzählt, aber den Zeitsprung von 158 Jahren von Kleist zu Meyer sollte man trotzdem nicht ignorieren. Marlene Lockemanns Bühne jedenfalls wird zum Action-Spielfeld, eine bedrückende Szene zu einem (vielleicht ein bisschen zu langen) Live-Film, und am Ende lebt nur noch die Marquise: Last Woman Standing. Und Macis Stück eröffnet hier nicht einmal den (bei Meyer noch pflichtschuldig eingeschobenen) Ausweg in die Zweierbeziehung. "Ich will keine andre Ehre mehr als meine Schande" sagt die Heldin, selbstbewusst und einsam. Und vielleicht ist die Figur so tatsächlich nach einem Zwischenstop im Jahr 1966 in der Gegenwart angekommen.“ (Falk Schreiber, nachtkritik, 11. September 2021)

    „Maci bringt nämlich Texte miteinander ohne Rücksicht auf dünkelhafte Niveau-Behauptungen in Dialog – hier die kanonische Novelle und das B-Movie, das seit den 1980er-Jahren oft als feministische Empowerment-Story gelesen wird. Dabei legt sie einzelne ihrer Akteur*innen wie Diapositive übereinander. Im Bild, das so entsteht, lassen sie sich nicht auseinanderhalten. Ihre Identität ist nicht fluide, sondern sie ist ein Fluidum. Das ermöglicht ihnen, geschmeidig wie Virginia Woolfs Orlando, von einer Geschichte in die nächste zu gleiten und wie geölt durch die Epochen zu flutschen, […].“ (Benno Schirrmeister, taz, 15. September 2021)

    „Überhaupt: im schrillen, bonbonfarbenen Kosmos (Kostüme: Belle Santos) kommt der klassische Stoff leichtfüßig und herrlich überzogen daher, ohne jedoch den Respekt vor der Vorlage zu verlieren oder die Botschaft der Emanzipation zu kompromittieren. […] und eine Frage drängt sich auf: Müssen Frauen so werden wie Männer, wenn sie sich von deren Übermacht befreien wollen?“ (Ulla Heyne, Kreiszeitung, 13. Oktober 2021)

    „Maci gelingt mit ihrem Stück, in dem sie Novelle und Drehbuch spielerisch zusammenführt, eine radikale, aber vor allem auch humorvolle Neuschreibung der Marquise-von-O.-Figur. Lichtjahre scheinen zwischen den beiden Vorlagen zu liegen, zwischen ihrem Sprachduktus, ihren Frauenbildern. Dass die Autorin genau diese Lichtjahre ignoriert, sie ungerührt überspringt, gibt ihrem Text eine feinsinnige, humorvolle und kluge Substanz.“ (Katrin Ullmann, Theater heute, November 2021)
    • Karin und Uwe Hollweg Stiftung